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Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung - Interview mit Filmemacher Valentin Thurn

(vom 05.11.2019)

Im Interview zeigt Filmemacher Valentin Thurn Maßnahmen gegen die Lebensmittelverschwendung auf. Er fordert nichts weniger als eine Ernährungswende.

Interview Valentin Thurn

Schon zum zweiten Mal hatten die SWE im September zur Klima-Kochshow auf den Esslinger Rathausplatz eingeladen. Mit prominenten Gästen kochte und brutzelte Biokoch Karsten Bessai Leckeres mit Zutaten vom Wochenmarkt. Zu Gast war auch der aus Waiblingen stammende Journalist und Filmemacher Valentin Thurn. Der Kinofilm „Taste the Waste“ ist eines seiner bekanntesten Werke. Thurn beschäftigt sich immer wieder mit dem Thema Lebensmittelverschwendung und Food Sharing, aber auch Agrarpolitik, Entwicklungshilfe und Umweltthemen stehen bei ihm im Fokus. Im Interview erklärt er, warum eine Ernährungswende so wichtig ist – auch für das Klima.

Herr Thurn, in Ihren Filmen geht es u.a. um die massenhafte Verschwendung von Lebensmitteln bei uns in Europa. Was sind denn die Ursachen für einen derart sorglosen Umgang mit Lebensmitteln? Und was sind die Auswirkungen?

Thurn: Hier gibt es eine geteilte Verantwortung. Das Ernährungssystem beruht auf anonymer Verteilung, das hat zur Folge, dass die Wertschätzung für Lebensmittel oft nicht mehr da ist. Neben der Seite der Verbraucher gibt es auch die Wirtschaft, da hat das ganz handfeste ökonomische Rahmenbedingungen. Ein Supermarktchef handelt ja wirtschaftlich vernünftig, wenn er eine Packung Orangen, in der eine faulig ist, wegschmeißt. Denn die Kosten für das Aussortieren und neu Bepreisen sind hoch. Das würde mehr kosten als der Rohstoff selbst. In unserem Steuersystem packen wir viele Steuern auf Löhne und zu wenig auf Grundstoffe. Volkswirtschaftlich ist das eine Katastrophe.

Zu den Auswirkungen: Unsere Ernährung hat weltweit gesehen 30 bis 40 Prozent Anteil an den Klimagasen, das ist erheblich. Natürlich sollten wir uns auch bei Industrie und Verkehr um Lösungen bemühen, ebenso bei den Heizungen von Häusern – das ist alles unbestritten. Aber beim Thema Ernährung haben wir einen ganz großen Hebel, der auch nicht an unserem Lebensstandard kratzen würde. Mit weniger Verschwendung könnten wir einen erheblichen Beitrag fürs Klima leisten.

Weltweit wird ein Drittel der Lebensmittel weggeworfen, in Deutschland vielleicht sogar ein bisschen mehr. Hier ist die Politik gefragt, einen Rahmen zu setzen, der es den Unternehmen auch ökonomisch sinnvoll erscheinen lässt und sie dafür belohnt, wenn sie weniger wegschmeißen. In Italien gibt es Steuererleichterungen, wenn man aussortierte Lebensmittel weitergibt. In Frankreich und Tschechien ist es Supermärkten verboten, essbare Lebensmittel wegzuwerfen.

Das ändert zwar nur an einem Teil des Müllbergs etwas, aber es ist zumindest ein Rahmen. Man müsste vielleicht noch weiter gehen und sagen: Unternehmen, die weniger wegschmeißen, werden finanziell begünstigt. Oder man hebt die Müllgebühren bei Lebensmitteln im Gewerbe an, oder man ändert das Steuersystem. Aber das ist der übernächste Schritt.

Den Verbrauchern kann man das nicht so einfach per Gesetz vorschreiben, das ist ein gesellschaftlicher Prozess. Aber man kann die Verbraucher ansprechen und zum Beispiel Verbrauchergemeinschaften unterstützen. Das hat etwas mit Wertschätzung zu tun.

Valentin Thurn zu Gast auf der SWE Klima-Kochshow 2019

Werfen wir als Verbraucher wirklich so viel weg?

Thurn: Die letzte Zahl aus dem Bundesernährungsministerium sagt: 51 Prozent der Lebensmittelabfälle entstehen bei den Verbrauchern. Wobei hier (bei der Verschwendung insgesamt) ein großer Teil aus der Landwirtschaft nicht mitgezählt ist, also alles, was nicht geerntet bzw. untergepflügt wird. In den Nachbarländern kommt man in Studien auf 40 bis 45 Prozent (Anteil Verbraucher). Das wird bei uns auch in etwa so sein.

Der Verbraucher trägt erheblich zur Lebensmittelverschwendung bei, vor allem bei Produkten wie Joghurt oder Brot. Aber das meiste wird weggeworfen, bevor es uns Verbraucher erreicht, und zwar in Landwirtschaft, Industrie und Handel.

Die Politik muss also tätig werden. Aber was kann der einzelne Verbraucher besser machen? Kann er überhaupt etwas bewirken?

Thurn: Ich glaube schon. Wir stehen jetzt an einem Punkt, wo wir uns fragen: Ist dieses System reformierbar? Wenn wir Alternativen aufbauen, und seien sie zunächst noch klein, dann zeigen wir, es geht. Zum Beispiel durch solidarische Landwirtschaft oder Verbrauchergemeinschaften. Der Bauer kann dadurch wieder Vielfalt anbauen und planen. Die anderen Bauern hängen an den schwankenden Preisen und wissen oft nicht, ob es sich lohnt, dies oder das anzubauen. Der Bauer in der solidarischen Landwirtschaft hat für ein Jahr Sicherheit. Er muss sich nicht spezialisieren und keine Monokulturen anbauen. Erfunden wurde die solidarische Landwirtschaft in Ostasien. In Südkorea werden damit 1,5 Millionen Menschen ernährt. Hier ist das alles noch sehr überschaubar. Ein lokales Beispiel hier in der Region ist der Reiherhof in Stuttgart-Möhringen.

Haben Sie ein paar Tipps für Verbraucher?

Thurn: Zum Beispiel eine solidarische Landwirtschaft suchen oder selber gründen.

Man kann sich eine Gemüsekiste bestellen, manche brauchen aber nicht jede Woche eine Kiste. Alternativ gibt es zum Beispiel das System Marktschwärmer, bei dem man flexibel online bestellen kann.

Im Supermarkt kann man auf regionale Ware achten. Da muss man aber teils genau hinschauen, ob das wirklich aus der Region stammt. Regional arbeiten Supermärkte wie Naturgut.

Generell kauft man ja immer ein bisschen zu viel ein, weil man im Supermarkt verführt wird. Eine Möglichkeit ist, streng nach Einkaufszettel einzukaufen. Ich persönlich schaue im Kühlschrank, was demnächst verarbeitet werden muss, und komponiere dann daraus ein Gericht. Am Ende der Woche habe ich zwar was übrig, aber das ist immer noch haltbar. Dann muss ich nicht so viel einkaufen.

Manchmal sind es ganz banale Dinge, zum Beispiel den Partner zu fragen, ob er schon Brot gekauft hat, damit man nicht doppelt einkauft. Es gibt ja tatsächlich Leute, die werfen Brot nach einem Tag weg. Man kann auch einfach nur ein halbes Brot kaufen.

Nach einer Party kann man die Gäste auffordern, dass alle etwas mitnehmen. Man muss da nur auffordern, von sich aus trauen sich die Leute das nicht. Das hat etwas mit Haltung zu tun.

Valentin Thurn zu Gast auf der SWE Klima-Kochshow 2019

Es gibt inzwischen ja auch Anbieter, bei denen man online schauen kann, wo es Reste gibt...

Thurn: Es gibt Foodsharing, das ist ehrenamtlich. Es gibt „To good to go“, wo man zum halben Preis beim Restaurant in der Nähe was abholen kann. Da gibt es mehrere Anbieter.

Erzieht man dadurch nicht den Handel oder die Gastronomie dazu, sich nicht mehr zu bemühen, gut zu planen, weil es am Ende des Tages eh abgeholt wird?

Thurn: Das ist für beide Seiten eine Herausforderung. Die Restaurantbetreiber verdienen da eigentlich nichts mehr dran, die machen das eher aus Überzeugung. Und der Verbraucher muss flexibel sein, denn er weiß ja nicht, was an dem Tag übrig ist.

Also: Flexibilität ist wichtig, in den Kühlschrank schauen, besser planen. Was hat es mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum auf sich?

Thurn: Dieses MHD wird von vielen falsch verstanden und mit dem Verbrauchsdatum verwechselt. Letzteres hat mit Gesundheitsgefahren zu tun. Da muss man den Gesetzgeber wirklich fragen: Wie ernst nehmt ihr das Thema eigentlich? Es gibt schon lange Pläne dafür, diese beiden Daten klar unterscheidbar zu machen, aber sie werden nicht verwirklicht. Handel und Industrie sind dagegen, weil ja weniger verkauft wird, wenn die Verbraucher weniger wegwerfen. Hier hat die Politik dem Willen der Lobby nachgegeben und versagt. Ich ärgere mich darüber sehr.

Ihr Dokumentarfilm im Jahr 2011 hat sicher dazu beigetragen, dass ein breiter gesellschaftlicher und politischer Diskurs angestoßen wurde. Was hat sich denn inzwischen zum Positiven entwickelt?

Thurn: Es haben sich sehr viele gesellschaftliche Gruppen zusammengefunden: neue wie beim Food Sharing genauso wie bestehende wie der WWF oder die Deutsche Umwelthilfe (DUH) – da hat sich wahnsinnig viel getan. Es gibt auch kleine Start-Ups: Querfeld zum Beispiel sammelt auf dem Acker Feldfrüchte ein, die nicht geerntet wurden und vermarktet diese. Oder SirPlus aus Berlin: Das Unternehmen kauft von der Industrie, was falsch etikettiert oder zuviel produziert wurde, und verkauft das. Die versuchen jetzt gerade, im Rest von Deutschland Fuß zu fassen.

Getan hat sich auch etwas bei großen Unternehmen im Catering-Bereich, wo der Wareneinsatz ja riesig ist. Hier lohnt es sich zu sparen, man muss es oft nur besser organisieren.

Gibt es auch gegenläufige Entwicklungen?

Thurn: Nein, es gab keinen offenen Gegenwind. Allerdings gab es anfangs Studien, die gesagt haben, zu über 60 Prozent sei der Verbraucher schuld – aber das sind Scheinargumente.

Sie leben in Köln, kommen ursprünglich aber aus Waiblingen. Was ist denn Ihr Lieblingsessen aus der Kindheit?

Thurn: Meine Oma war donauschwäbisch, sie hat gerne Strudel gemacht, nicht nur mit Apfel, sondern auch mit Kürbis oder salzig. Fischgulasch gab es auch. Was ich tatsächlich vermisse im Rheinland sind gute Brezeln oder Seelen. Und mit Maultaschen kann man mich auch immer rumkriegen.

Geprägt hat mich das Thema Streuobst: Äpfel, Pflaumen und so weiter. In Köln haben wir einen Verein mit Landwirten, einen Ernährungsrat gegründet. Es geht darum, die Kommune für ein regionales Ernährungssystem einzuspannen: Kitas und Schulen sollen von Bauern der Region versorgt werden. Momentan ist es ja so, dass das Streuobst an den Bäumen hängt und verfault, während 80 Prozent des Obstes im Supermarkt importiert wird. Das ist ein unfairer Wettbewerb für unsere Bauern im Vergleich zum Obst aus Ländern, wo es keinen Mindestlohn gibt.

Was verbinden Sie mit bodenständigem Essen? Fehlt Ihnen das manchmal? Oder kochen Sie zuhause auch ganz bodenständig?

Thurn: Das schaffe ich natürlich nicht immer, aber wir haben drei Kinder großgezogen und ich habe immer frisch gekocht. Ganz einfache Sachen zum Beispiel wie Brokkoli mit Gorgonzola und Nudeln, aber eben mit frischem Gemüse. Man kann nur eine Wertschätzung für Lebensmittel entwickeln, wenn man selbst frisch kocht. Mir geht das Herz auf, wenn ich zum Beispiel nach Italien gehe, wo man sehr viel Mühe für das Essen aufwendet. Auch im Restaurant ist man bereit mehr zu zahlen, weil man Wert auf Qualität legt.

Wie sehen Sie die Unverpackt-Läden? Bringen die einen Vorteil mit?

Thurn: Absolut, das könnten größere Ketten auch machen. Früher war es ja unmöglich, mit der eigenen Tupperdose Wurst im Supermarkt zu kaufen. Jetzt ist da in vielen Läden die Bereitschaft dazu da. Die Unverpackt-Läden sind aber schon eine Herausforderung für uns, man muss ja dann in der Tasche viele Behältnisse mitbringen. Toll, dass sich gerade junge Leute da wieder umstellen.

Die Stadtwerke Esslingen sind ein regionales Energie-Dienstleistungsunternehmen, das sich für das Gelingen der Energiewende einsetzt, u.a. mit Ökostrom und einer Energieberatung. Ihr eigener Schwerpunkt ist die Ernährungswende –wie kann diese besser in Bewegung kommen?

Thurn: Ich glaube, die Ernährungswende kann von der Energiewende lernen. In den 80er Jahren hat man uns gesagt: Ihr seid Spinner, weil wir gegen Atomstrom demonstriert haben. Wir haben in Waiblingen damals eine BUND-Ortsgruppe gegründet und uns dafür eingesetzt, dass ein altes Wasserkraftwerk reaktiviert wurde. Andere haben sich um Solarstrom und Windkraftanlagen gekümmert. Im Laufe der Jahre wurden diese kleinen Insellösungen immer großer. Es hat 35 Jahre gedauert und einen Gau in Japan gebraucht, bis die Bundesregierung gesagt hat, wir wollen eine Energiewende. Man konnte damals schon erkennen, die kleinen Insellösungen sind erprobt und man kann diese auf das ganze Land hochziehen. Es braucht eine gewisse Zeit, man muss kleine Insellösungen testen und dann das Ganze in größerem Stil umsetzen.

Was genau bedeutet Ernährungswende?

Thurn: Es geht um eine Versorgung, die ökologisch nachhaltig ist, also Biodiversität auf dem Acker, weniger Pestizide und Stickstoffdünger, kurz eine Wende hin zur ökologischen Landwirtschaft. Auch die Regionalität ist ein Teil davon. Wir sollten uns nicht alleine mit Bio zufrieden geben, da ist momentan die Hälfte importiert. Wichtig ist es, auch kleine konventionelle Landwirte ins Boot zu holen. Da gibt es viele, die sich über Nachhaltigkeit Gedanken machen. Es ist nicht generell bio gut und konventionell schlecht.

Was können wir Verbraucher noch tun, damit die Ernährungswende in Gang kommt?

Thurn: Es reicht nicht, das richtige Kreuzlein am Wahltag zu machen. Die Politik reagiert auf Druck, und es braucht Institutionen, die zwischen den Wahltagen dafür sorgen, dass das Thema nicht vergessen wird. Auf lokaler Ebene zum Beispiel die Ernährungsräte, auf Landes- oder Bundesebene gibt es andere Organisationen. Aber die meiste Macht haben wir, indem wir täglich mit unserem Geldbeutel abstimmen. Jeder sollte nach bequemen Lösungen suchen, die trotzdem korrekt sind, sei es die Solidarische Landwirtschaft, sei es Marktschwärmer oder ein regionaler Bio-Supermarkt. Wenn die Minderheit, die korrekt einkauft, immer größer wird, wird das auch die Politik beeindrucken.

Rückblick zur Klima-Kochshow 2019

Die Klima-Kochshow fand im Rahmen der Energiewendetage Baden-Württemberg statt. Saisonale Lebensmittel, direkt vom regionalen Wochenmarkt, wurden frisch zubereitet und zum Probieren von der Bühne gereicht. Zwischen Töpfen und Pfannen ging es dabei auch um Energie, Klimaschutz, Mobilität, Landwirtschaft und Ernährung. Mehr dazu erfahren Sie hier.

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